Endlichkeit – Unendlichkeit I

Museum Arnsberg

Rauminstallation

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liegende Acht

Endlichkeit – Unendlichkeit
Die Arbeiten Ursula Lisa Deventers sind die logische Folge einer über Jahre gehenden Entwicklung, innerhalb der die Künstlerin sowohl in geistiger als auch in künstlerischer Hinsicht nach Ausdrucksformen für ihre subjektive Wahrnehmung der »Endlichkeit Unendlichkeit« suchte.
Das Resultat dieser Entwicklung sind Arbeiten, die zunächst von der »Endlichkeit« ausgehen, etwa ausgedrückt durch eine Stahlsäule, die auf ihrer Schnittfläche vorerst einen Lichtstrahl beendet.
Durch verschiedene künstlerische Ausdruckmittel »verändert« nun ULD aber diesen ersten Eindruck von der Endlichkeit, so daß das Betrachten des jeweiligen Objektes einem Denkanstoß gleichkommt. Somit beschreitet der Betrachter gedanklich einen Weg, den die Künstlerin zuvor beschritt: sie legt ihre Idee der Unendlichkeit in das Kunstwerk; wenn man so will, erwächst hier aus der Reflexion über die Unendlichkeit mit den Mitteln der Kunst selbst Unendlichkeit.
ULDs Rauminstallationen für das Sauerland-Museum Arnsberg bauen also auf einer intensiven Auseinandersetzung mit Ideen und Gedankenmodellen auf, die die »Endlichkeit – Unendlichkeit« zu erklären, zu erfassen oder gar zu definieren versuchen: »Definiert« wurde die Unendlichkeit für die abstrakte Welt der Naturwissenschaft; in der Mathematik erklärte man eine »querliegende Acht« zum Symbol für Unendlichkeit.
ULD nimmt dieses mathematische Symbol als Ausgangspunkt für ihre Installation, die sie sowohl in einem Ausstellungsraum des Museums, als auch als Außenprojekt in einem Buchenwald realisierte.
Aneinander- bzw. aufeinander gestellte Vierkanthölzer, deren Seiten ganz und gar in Ultramarinblau eingetaucht erscheinen, bilden, zunächst für das Auge nicht erfassbar, diese »liegende Acht«. Nur an den Schnittstellen der einzelnen Holzbalken miteinander herrscht nicht das allmächtige Blau, auf das man seit Yves Klein aufmerksam gemacht worden ist. An diesen Stellen ist die Endlosschleife nicht nur unterbrochen, sondern es bleibt der natürliche Farbcharakter des Holzes sichtbar.
Die »liegende Acht«, die im Arnsberger Museum zu sehen, zu begehen war, erstreckt sich über zwei Räume. Im ersten nimmt man die Form der einen Schleife zunächst in ihrer Geschlossenheit wahr, man assoziiert sogar zu beiden Seiten des Eingangs eine Art Mauer, die ihrerseits die Vorstellung einer Eingrenzung wachruft. Der Durchgang in den durch Trennwände abgegrenzten zweiten Raum ist gleichzeitig der Übergang zur Auflösung der zweiten Schleife. Der Einschnitt der Trennwände fällt formal mit der zweigeteilten Form der Acht zusammen.
Zwei Fenster beenden optisch den Ausstellungsraum, nicht aber die »Acht«, die sich zu diesen Fenstern hin und über diese hinaus schrittweise auflösen will. ULD hatte für diese »Raumsituation« im Arnsberger Museum geplant, zu beiden Seiten der Fenster, an der Stelle, an der das mathematische Symbol sich seiner »Nutzlosigkeit« – da unzulänglich – »bewußt« wird, eine »reale« Auflösung auszudrücken, visuell erfahrbar gemacht mit Sägemehlhaufen. (Dies konnte jedoch aus museumstechnischen Gründen nicht realisiert werden.)
Der Gedanke, der dahintersteht, beinhaltet eine philosophische Aussage: Die Idee der Unendlichkeit – hier am Beispiel der Mathematik – wird zur »heueristischen Fiktion« (Kant), einem bloßen Hilfsbegriff.
ULD entlarvt quasi die »Unzulänglichkeit« des menschlichen Abstraktionsvermögens mit Zeichen und Symbolen, beziehungsweise sie versucht, mit den Mitteln der Kunst die »querliegende Acht« nun »wirklich«, d.h. subjektiv wirklich, als »Unendlichkeit« in diesem Raum erfahrbar zu machen.
In ähnlicher Form gelingt es ULD, die Erfahrbarkeit dieser »subjektiven Wirklichkeit der Unendlichkeit« künstlerisch auszudrücken, nämlich im Bild »Convivium«, einer abstrakten Darstellung nach Leonardos Abendmahl: ULD schuf ein »Tafelbild«, in dessen Zentrum drei Säulen hineinragen, von denen man den Anfang, d.h. die Basis nicht sieht. Sie heben sich vom grauen »Umraum« (Öl) plastisch durch ihre Mörtelstruktur ab. Diagonal über die drei »Säulen« zieht sich der in Kreide geschriebene Schriftzug: ll 1 – 00 und kenntzeichnet somit jene Bedeutungsebene des Abendmahls, die für ULD in ihrer gedanklichen Auseinandersetzung mit »Endlichkeit – Unendlichkeit« relevant ist. Eine bestimmte Handlung zu einer bestimmten Zeit markiert einen Punkt in der Lebenszeit eines Menschen, zugleich in der gesamten Menschheitsgeschichte, Weltgeschichte, etc. Folgt man den Fluchtlinien der Architektur ins Zentrum von Leonardos Bild, so wird man von den Parallelen, die sich für unsere »beschränkte Wahrnehmung« in der Unendlichkeit zu schneiden scheinen, unwillkürlich auf die drei »Säulen«, bzw. Fenster gelenkt, die ULD in ihr Bild nimmt. Durch die Fenster sehen wir in die Landschaft, in den Raum, in die Unendlichkeit.
Versucht man sich der zweiten Installation zu nähern, so nimmt man eine Art Spannungsverhältnis zwischen dem Ausstellungsraum – einem Zimmer mit berechenbaren Maßen, den menschlichen Bedürfnissen angepaßt – und dem, was die Künstlerin installiert hat, wahr: Tische und Stühle, vom Menschen für den Menschen erfunden. Sie sind jedoch hier nur als Zitat des »Menschlich-Endlichen« gebraucht, denn zum einen sind sie überdimensioniert, zum anderen stellen sie sich in einem dem Materiellen enthobenen Weiß dar; durch das weißgeschlämmte Holz, aber auch durch die instabile Statik, müssen sie stets der zuordnenden menschlichen Wahrnehmung Befremden melden. Diese Instabilität wird verständlicher, wenn man die anderen Elemente in dieses Geschehen mit einbezieht: Denn es ist in der Tat ein Augenblick, ein bestimmter Abschnitt aus einer Sequenz, der hier festgehalten wird. Ein den ganzen Raum in Unruhe versetzender, höchst fragiler Kubus dringt hier gerade ein,und löst sich vielleicht schon im nächsten Moment wieder auf in die Unendlichkeit des Raumes, aus dem er gekommen ist. An diese Stelle setzt die Künstlerin eine kleine Kugel, die, obwohl sie dem »trägen Betrachterauge« zunächst entgeht, doch gerade die umfassende Idee der Installierung in sich birgt: Aus ihrer Gedankenarbeit an dem Thema schuf ULD ein sichtbar gemachtes neu entwickeltes Modell für ihre Idee. Ins Zentrum dieser Darstellungsebene setzt sie die Kugel, das Symbol, mit dem auch Mathematiker operieren, wenn sie Unendlichkeit, z.B. die der komplexen Zahlen, ausdrücken wollen: Wie kein anderer Körper veranschaulicht die Kugel durch ihre weder von Anfangs- noch von Endpunkten bestimmte Oberfläche Unendlichkeit. Dabei ist es unwichtig wie groß die Kugel ist; es gilt vielmehr: je kleiner, desto drastischer die Aussage: Komprimierte Unendlichkeit
Die eigentliche Bedeutungsebene aber dieser Installation liegt im Bewirken der Kugel, d.h. der Idee, in ihrer Diffusion. Bei einer Diffusion »zerfließt« oder dehnt sich etwas aus, eine Struktur oder auch ein Ort wird aufgegeben. Bezogen auf die Kugel kann man auch von einer Kraft sprechen, die sich in alle Richtungen hin gleichmäßig ausdehnt, von einer Kraft also, die sich vom Ort ihrer Entstehung löst, sich schließlich auch auflöst.
Zwei weitere Arbeiten ULDs greifen für den Betrachter zumindest formal Denkanstöße auf, die schon für die »liegende Acht« formuliert worden sind: Uns bekannte Zeichen, Symbole werden von der Künstlerin direkt in den Raum bzw. in die Landschaft gelegt und stellen durch die direkte Gegenüberstellung dessen, was ist (was wir aber nicht ermessen können) mit dem, was wir als Zeichen dafür gebrauchen, ein Spannungsverhältnis dar.
ULD wählte als Zeichen bzw. Symbole bei ihren Bodenarbeiten unsere Sprache, nämlich Begriffe, Eingrenzungen von etwas, was nicht einzugrenzen ist: FINITUS – INFINITUS (Begrenzt – Unbegrenzt, Endlich – Unendlich). Die Schrift INFINITUS ist vertikal ausgerichtet (wobei das Wort entgegen der üblichen Leserichtung aufsteigt, d.h. der Anfang ist nah, das Ende fern), während FINITUS in die Horizontale geht. Unwillkürlich kommt die Assoziation HIMMEL und ERDE.
Das »Wort« FINITUS ist für unser Auge auf einmal zu erfassen, INFINITUS dagegen wird durch eine gewisse »Trägheit des Auges« bzw. Wahrnehmung nicht simultan übersetzt.
Caspar David Friedrich schuf mit dem »Mönch am Meer« ein für seine Zeit äußerst ungewöhnliches Bild, in dem ebenfalls der Mensch mit der Unendlichkeit konfrontiert wird. Wir sehen eine Rückenfigur, einen meditierenden Mönch, vor ihm nur das Meer und der Horizont.
Mit der Plastik »COGITATIO CAELI«konfrontiert ULD in ähnlich ungewöhnlicher Weise den Betrachter mit der Unendlichkeit, indem sie ihm auf der Schnittfläche eines Vierkantstahlpfeilers in unmittelbarer Augenhöhe die Spiegelung des Himmels präsentiert. In leicht verzerrter Perspektive kann er den in den V2a-Stahl geätzten Schriftzug: »COGITATIO CAELI« lesen.
Wie andere Kunstschaffende in jüngster Zeit beschäftigte sich auch Giovanni Anselmo mit dem Thema: Himmel und Erde. Er lieferte für die Ausstellung »Skulptur, Projekte in Münster 1987« einen Beitrag mit dem Titel »Verkürzter Himmel«. Es handelt sich zwar, oberflächlich betrachtet, um Parallelerscheinungen, jedoch ist die Intention jeweils eine andere: Anselmo wollte »das Unendliche menschlicher machen« und zog deshalb den Himmel auf die Erde herunter (Katalog zur Ausstellung Skulptur, Projekte in Münster 1987, S. 27). ULD will dagegen mit den »Gedanken an den Himmel« etwas anderes bewirken. Hier trifft der Himmel in Form von Licht auf die Stahlfläche. Für das menschliche Auge ist das Licht bzw. Himmel sichtbar, was von der Sonne ausgeht und auf einen dieses Licht begrenzenden Körper fällt. ULD läßt dieses »sichtbare Licht« auf eine reflektierende Platte fallen, von der ausgenommen an den Stellen, wo die Schrift »COGITATO CAELI« (= Gedanken an den Himmel) eingeätzt ist, alles wieder zurückgespiegelt wird. Diese kleine Fläche mit den »eingeätzten Gedanken an den Himmel« kann so als reflektierendes Lichtzeichen den für uns sichtbaren Bereich des Himmels verlassen und eingehen in das Dunkel des Weltalls.
Bei allen Arbeiten der Künstlerin wird man stets mit dieser unfaßbaren Unendlichkeit als Mensch konfrontiert, z.T. mit bewußt ad absurdum geführten Symbolen in der Bildsprache, z.T. aber auch direkt, wie bei »COGITATIO CAELI« durch eine Spiegelung. Barnet Newmans Bild »Vir heroicus Sublimus« – ein für die Künstlerin wichtiges Bild – drückt durch sein großes Format zum einen, durch seine starke Farbintensität zum anderen, etwas davon aus, was auch ULD mit ihren Arbeiten beabsichtigte: Newman setzte der riesigen roten, in die Breite sich ausdehnende Fläche schmale Vertikallinien entgegen, die durch ihr Abgrenzen die Unendlichkeit der Farbe erst wahrnehmen lassen. Das schon erwähnte zweite, für ULD in diesem Zusammenhang wichtige Bild, C.D. Friedrichs »Mönch am Meer«, gibt dem Betrachter außer dem Mönch keinerlei relativierende Bezugspunkte an die Hand. Heinrich von Kleist, der Friedrichs Bild interpretierte, drückte dieses so aus: »… es ist so, wenn man es betrachtet, als wenn einem die Augenlieder weggeschnitten wären.« (nach: Friedrich, C.D., Bekenntnisse, ausgewählt v. K.K. Eberlein, Leipzig 1924, S. 250)
In der Auseinandersetzung mit ULDs Kunst kann einem das widerfahren, was C.D. Friedrich wohl seinem Mönch erfahren ließ: In einem Gespräch mit der Künstlerin, in dem ich auf die sich immer wieder einstellende Assoziation »Mönch am Meer«hinwies, entgegnete ULD: »Man ist der Mönch«.
Ulrike Hauser M.A., 1989